Stapelfelder Fototage mit Sonderausstellung: Märchen-Locations von Kilian Schönberger

Stapelfeld. Graue Felsen flankieren den Weg durch den düsteren Bergwald. Fast möchte man schaudern. Wäre da nicht dieser Sonnenstrahl, der da vorne durch die dichten Baumkronen fällt und sich im Nebel zu einem geheimnisvollen warmen Schimmer bricht. Was könnte sich dahinter auftun? Ein Schloss? Ein Ufer? Oder eine Fee?

Mit Kilian Schönbergers Landschaftsaufnahmen gehen Seele und Fantasie auf Reisen in ein „verzaubertes Land”. Genauso heißt die Ausstellung, die zum Auftakt der 4. Stapelfelder Fototage in der Katholischen Akademie eröffnet wurde. Der Wahl-Rheinländer aus der Oberpfalz sucht in ganz Deutschland Orte, die als Locations für Märchen und Sagen dienen könnten: Visuell betretbare Bühnenbilder, die den Betrachter mitnehmen in die mystische Welt von Feen und Trollen, Magiern und Druiden, so stimmungs- wie gefühl- und geheimnisvoll. In den 40 Bildern seiner Ausstellung ist ihm das eindrucksvoll gelungen. Zur Eröffnung erzählten Dr. Heinrich Dickerhoff und Conny Sandvoß zu ausgewählten Aufnahmen kleine Szenen aus verschiedenen deutschen und keltischen Märchen – und entführten das verblüffte Publikum direkt in diese ganz andere Welt. Die Ausstellung ist noch bis Mitte April in der Akademie zu sehen.

Nebel macht's spannend

„Wo Sonne auf Nebel trifft: Da wird es für mich spannend”, erzählt Schönberger.  Er recherchiert in alter Literatur und im Internet nach Erzählungen, die ihn packen. Der studierte Geograf weiß, wo die Erdgeschichte dazu passende Spuren hinterlassen haben könnte und so entsteht seine ganz persönliche To-do-Karte. Aufmerksam beobachtet er  Wetterdaten und Satellitenbilder und wenn alles passt, dann stürzt er sich „atemlos durch die Nacht”: Vier Stunden Zeitfenster, um in 400 Kilometer Umkreis sein Ziel noch vor Sonnenaufgang zu erreichen und das mit wenig Equipment – so beschreibt Schönberger seinen Arbeitsrhythmus. Im Gegensatz zu Tierfotografen, die oft stundenlang unterm Tarnzelt oder in Wathosen im Moor ausharren, ist für ihn Spontanität wichtiger als Geduld: „Das Licht, das ich haben will, gibt es oft nur wenige Momente: Da muss ich schnell sein.” So wie bei dem Sonnenstrahl im nebligen Bergwald, den er frühmorgens gleich hinter seinem Elternhaus in Ostbayern durch Zufall entdeckt hat: „Da habe ich gerade noch das Stativ aufgestellt gekriegt...”

Bilder, Wissenswertes und mehr

Lichtstimmungen der Natur im Bild festhalten, mit sanften Farben und flüchtigem Pinselstrich, unter Verzicht auf dokumentarisch genaue Details: Dafür wurden die impressionistischen Maler um 1900 zunächst eher verspottet als verehrt, erklärte Kunsthistoriker Dr. Martin Feltes. Heute gelten Monet und Co. als Künstler von Weltrang. Auch in der Naturfotografie findet sich diese Stilistik wieder – bis heute. Zu sehen auch bei den Stapelfelder Fototagen vom 13. bis 15. Februar 2015. Vor mehr als 200 Natur- und Fotofreunden aus ganz Deutschland präsentierten renommierte Referenten in der ausgebuchten Katholischen Akademie eine Auswahl ihrer schönsten Aufnahmen. Auch diesmal war es Organisator Willi Rolfes gelungen, namhafte Könner an der Kamera nach Stapelfeld zu holen, die in aufwändig geschnittenen Diashows beindruckende Bilder zeigten. Und dabei auch viel Wissenswertes und humorige Anekdoten aus der Praxis erzählten. Alle Referenten stellten sich in vertiefenden Workshops den Fragen der Teilnehmer. Zudem gab es wieder einen kleinen Fotomarkt mit Bücherständen, Ausrüstern, Reiseveranstaltern und Kamera-Experten und auch die Technik-Sprechstunde von Angela von Brill wurde rege genutzt.

Dokumentarisch oder künstlerisch

Naturwissenschaftliche wie auch künstlerische Ansätze bestimmten die Fotovorträge.  Während Guido Sachse mit der Makrolinse ganz nah heranging an Insekten und Spinnen, um sie dokumentarisch und gleichwohl stilvoll abzulichten – was sogar einige Phobiker im Publikum faszinierte – sieht sich Ines Mondon eher als Ästhetin an der Kamera. Ihre Aufnahmen bilden mehr ab als das natürliche Motiv: Sie spielen mit pastelligen Farben, Unschärfen, Perspektiven und Formen und so bringt die Künstlerin ganz viel Gefühl mit in ihre Bilder. Auch sie zeigte neben Blumen, Gräsern oder Landschaften die ein oder andere Spinne: Ganz filigran in ihrem Netz, das seine Schöpferin mit frühmorgendlichen Tautropfen wie ein Perlencollier umgibt.

Julia Kauer und Eike Mross dagegen „stehen auf Wildnis”. Und das bitte pur und unverfälscht. Wenn die beiden Forstwissenschaftler losziehen, um heimische Raubsäuger direkt an ihrem Bau abzulichten, dann legen sie nicht einmal ein paar Leckereien als Köder aus. Mit Geduld und Erfahrung gelingen ihnen dennoch beeindruckende Fotos: Von Dachsen, die in wilden Blaubeerbüschen schlemmen, putzigen Waschbären oder tollpatschigen Jungfüchsen auf Entdeckungstour. Kleine Tricks erlauben sie sich dann aber doch: „Auf frisch gemähten Feldern kann man Füchse mit der Hasenklage anlocken”, erklärte Eike Mross und ließ das skurrile Instrument gleich mal live ertönen. Für die Zuhörer war's schräg, für Füchse ist es das sichere Signal, dass dort ein verletzter Nager als Beute auf sie wartet...

Noch ganz frisch sind die Aufnahmen, die das Paar von einem Rückkehrer in deutschen Landen machte: In ihrer Heimatgemeinde Altengrabow (Sachsen-Anhalt) wurden von Osten eingewanderte Wölfe gesichtet und von Eike und Julia fotografiert: „Ein 17er-Rudel, praktisch vor unserer Haustür.”

Naturwunder auf sechs Kontinenten

Während die beiden Jungtalente der Naturfotografie ihre Motive vorrangig in Heimatnähe suchen und finden, gehen andere gern auf Reisen. So wie Markus Mauthe, der im Auftrag der Naturschutzorganisation Greenpeace auf sechs Kontinenten unterwegs war, um das „Naturwunder Erde” im Bild festzuhalten.  Er nahm das Publikum mit in die großen Lebensräume Wasser, Grasland, Gebirge und Wald und erzählte mit so einer Begeisterung von all seinen Eindrücken, Begegnungen und Erlebnissen, dass sein Vortrag auch nach drei oder vier Stunden nicht langweilig geworden wäre. Sein zwischenzeitlich mehrfach offeriertes Abkürzen zwecks Einhaltung des Zeitplans wurde von den Teilnehmern jedenfalls prompt mit lautem Grummeln abgelehnt: „Nee, weitermachen!”

Mauthe flog mit den Zuschauern im Wasserflugzeug über die borealen Wälder Kanadas,  entdeckte wilde Karibus auf den Inseln im Ontario-See und „verkaufte” dann die ägyptische Sahara als dankbares Thema: „In der Wüste gibt es Motive an jeder Ecke – du musst nur deinen Hintern bewegen.”  Hat er gemacht, genauso am Rio Negro in Brasilien, wo er auf die Tafelberge kletterte, um Goldkopf-Löwen-Äffchen und Papageien zu fotografieren. 

Bei seiner Schiffsreise rund um Spitzbergen bekam Markus Mauthe mit Neuschneee überzuckerte Eisberge vor die Kamera und selbst Eisbären kamen erstaunlich nah heran: „Glück gehabt!”  Das fehlte ihm später in Patagonien: Der Vollmond verlangte spontanen Aufbruch, aber das Gepäck hing noch am Flughafen fest.  So stapfte der Fotograf in geborgten kobaltblauen Leggings und mit diversen anderen Leihgaben ausgestattet los, um das Innenleben einer Gletscherspalte zu knipsen. Und natürlich noch einige faszinierende Landschaftspanoramen im Mondlicht.

Und dann gab es noch Walhaie vor dem Philippinen, Rhododendron im Himalaja, Flusskaimane im brasilianischen Sumpfgebiet Pantanal  sowie schillernd grüne Moose und 1000 Jahre alte Baumriesen in Tasmanien. In der Serengeti-Savanne erwischte er einen jagenden Gepard und im Land der Massai füllte ein riesiger Schwarm von rosa Flamingos den Himmel. Mauthe präsentierte tatsächlich ein Kaleidoskop an Naturwundern und warb gleichzeitig dafür, für den Erhalt dieses unwiederbringlichen Reichtums an faszinierender Lebensvielfalt zu kämpfen.

Jordanien? Du spinnst wohl!”

„Du spinnst wohl!” Nein, Frau Mosebach war von den Reiseplänen ihren Mannes Karsten alles andere als angetan: Jordanien sollte es sein. Außergewöhnliche Natur-Extreme,  wenig Wissen und kaum Bilder vorhanden, ein friedliches Land abseits kriegerischer Auseinandersetzungen im Nahen Osten – ja, da wollte der Fotograf unbedingt hin. Nicht alleine: Das war dann die Bedingung der Gattin und so tat sich Mosebach mit Kurt Nägele für eine zehnwöchige Fotoreise in die Wüste zusammen.

Bei den Stapelfelder Fototagen zeigte Karsten Mosebach, dass sich diese Tour gelohnt hat. Er nahm die Zuschauer mit in das pulsierende Leben auf den Märkten, geriet mit ihnen in einen Demonstrationszug, besuchte ein riesiges Flüchtlingslager und wurde spontan zu einer muslimischen Hochzeit eingeladen. Und dann diese Natur. Auch wenn hier wegen extremer Wasserarmut nur wenig wächst und es kaum wilde Tiere gibt. Die schroffe felsige Landschaft zeichnete je nach Tageslicht und Gesteinsart wunderschöne Linien und Strukturen, auch bauhistorische Spuren aus den Herrschaftsepochen von Griechen, Römern und Türken lieferten eindrucksvolle Motive. Natürlich besuchten die Beiden auch die berühmte Felsenstadt Petra mit ihren in den Berg gehauenen Grabmälern und am Toten Meer bewunderten sie salzüberkrustete Strandfelsen. „Das war fast so wie mit dem Tee bei den Beduinen”, erzählte Mosebach. Da hinein rührten diese so massenhaft Zucker, dass  die „Löslichkeitsgrenze” praktisch erreicht war. Doch die fast beschämende Gastfreundlichkeit der umherziehenden Familien überwog alles und machte auch diese Mischung genießbar.

Abschließend ging es noch ins Wadi Rum, ein ausgetrocknetes Flussareal mit sehenswerten Bodenstrukturen und steilen Felswänden aus Granit und Sandstein – eindrucksvoll fotografiert aus dem Korb eines Heißluftballons.

Wo Eichhörnchen Autos ausbremsen...

Mit dem Ballon wäre es für Bernd Liedtke in der Wetterküche Schottlands wohl mehr als ungemütlich geworden. Er bereist seit vielen Jahren immer wieder die rauen Küstenregionen und die Highlands, oft begleitet und inspiriert von den renommierten Foto-Profis Neil McIntyre und Laurie Campbell, die er gleich auf seiner ersten Reise dorthin kennengelernt hatte.  Liedtkes Aufnahmen zeigten nicht nur die wunderschöne Landschaft mit Waldsilhouetten, die sich im Wasser der Lochs spiegeln und Nebelschwaden über dem Sonnentau im Moor. Auch viele „tierische” Momente beeindruckten das Publikum: Möwenküken in Nestern, die an der steilen Klippe zu kleben scheinen, und Robben zwischen von Wellen gerundeten Strandfelsen, die genau so aussehen wie sie selbst. Dazu vorwitzige Eichhörnchen – für die der störende Autofahrer laut Verkehrsschild auch schon mal auf Schritttempo abbremsen muss – Delphine in der Bucht vor Inverness und Vogelkolonien auf dem „Bass Rock”. Auf den Hebriden-Inseln portraitierte Liedtke farbenprächtige Papageientaucher und in den Highlands beobachtete er neben einer Schneehasen-Siesta eine heroische Stockenten-Mama, die einem ausgewachsenen Fischadler die fischige Beute streitig machte.

Mit „Platt” und Livemusik

Ein – gelungenes – Experiment startete Willi Rolfes zusammen mit Heinrich Siefer von der „Plattdüütsch Warkstäe” und der Stapelfelder Musikdozentin Dr. Ulrike Kehrer am Klavier: eine Kombination aus Bildern, Live-Musik und plattdeutschen Texten, die Stimmungen in der Natur beschrieben. Siefer skizzierte die Geschichte der plattdeutschen Mundart von der allgegenwärtigen Alltags- und Amtssprache unserer Urgroßväter über eine Phase der Fast-Vergessenheit bis zur Neuentdeckung als wertvolles Kulturgut. Seit 2011 ist das „Plattdüütsch” bei der Unesco als schützenswerte Regionalsprache anerkannt.

„Platt is mehr as Döntkes”, betonte Siefer und stellte dies mit verschiedenen Beiträgen seiner „Schriewerslüe” unter Beweis. In Lyrik und Prosa fassten sie Stimmungen draußen in der Natur in Worte. Stimmungen, die parallel dazu auch die Fotos von Willi Rolfes zeigten: Moorpanoramen, Blüten, Wiesenleben, wildlebende Tierwelt in unserer norddeutschen Region und vieles mehr. Und immer wieder ließ man das Publikum auch mit den Bildern allein – untermalt von Ulrike Kehrer, die live am Flügel Filmmusiken verschiedener Komponisten dazu interpretierte: Mal sanft dahinplätschernd, mal leichtfüßig-schwungvoll, mal aufschwingend oder auch mit einem Hauch Melancholie. Ein ungewöhnliches „Paket” zum Zuschauen, Hinhören und Mitfühlen, das mit viel Applaus belohnt wurde.

Hommage an die Kreideküste

Zum Abschluss der Fototage griff Jürgen Reich den Faden der Romantik noch einmal ganz direkt auf mit einer „Hommage an die Kreideküste” – schon 1818 ein Lieblingsmotiv von Caspar David Friedrich.  Ja, das leuchtend weiße Kliff auf Rügen wurde schon tausendfach abgelichtet. Doch der Biologe an der Kamera bewies einmal mehr seinen Blick für das Echte, das Pure dieser ganz besonderen Landschaft im Nationalpark Jasmund und verzauberte mit Motiven weit abseits der bekannten Postkarten-Idylle eingängiger Tourismus-Kataloge: Kreidebruch umspült von milchig-sanften Wellen, seeseitig weiß gepuderte Buchenstämme, winterliche Eiskaskaden, die wie Tropfsteine Bäume und Klippen überziehen. Und das Wrack eines alten Kutters, dessen Bruchstücke Stürme weit verteilt an den Strand warfen und die im nebligen Abendlicht fast gespenstisch anmuten. Andere Aufnahmen zeigten moosbewachsene Felsen im seichten Wasser, Wollgrasbüschel und herbstliche Impressionen aus dem uralten Buchenwald, der von der Unesco als Weltnaturerbe anerkannt ist.

Ein eindrucksvoller Schlussakkord, der schon die Neugier auf die fünfte Auflage des Events weckte: Am 12. bis 14. Februar 2016 stehen die nächsten Stapelfelder Fototage auf dem Programm. Und nicht wenige Teilnehmer meldeten sich schon gleich wieder dafür an.

Gaby Westerkamp